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Bei einer Freundin gab es vor ein paar Tagen einen Schlaganfall in der Familie. Dabei kamen mir die ganzen Erlebnisse und Erinnerungen vom Schlaganfall meiner Mutter wieder hoch...und von den Änderungen, die damit einhergingen.
Alles fing bereits im Sommer 2012 an, als meine Mutter anfing von Kribbeln im Arm, Taubheitsgefühlen in den
Fingerspitzen und "Verspanntheit" im Nacken zu erzählen. Sie sagte, die Schulter,
die sie sich Monate vorher durch einen Sturz brach, sei Schuld
daran. Wir hatten keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Auch die
Physiotherapeutin, zu der sie ging, bemerkte nichts, weil sie nicht
wusste, dass die verletzte Schulter auf der linken Seite war,
die anderen Probleme aber ausschließlich die rechte Seite betrafen. Aber anscheinend hatte sie da schon, unbemerkt, den ersten leichten Schlaganfall. Hinterher ist man immer schlauer.
Im Oktober 2012 besuchte sie mich und benahm sich wie ein hormongetränkter Teenager. Sie sprach davon, bei meinem Vater auszuziehen. Das war für mich nichts außergewöhnliches, denn soweit ich mich zurück erinnern kann, sagte sie schon, sie würde ausziehen, spätestens dann, wenn mein Vater in Rente ginge. Aber da sie es doch nie getan hat, habe ich das auch nur wieder für leeres Geschwätz gehalten. Ihr teilweise euphorisches Verhalten machte mich zwar stutzig, aber ich dachte, sie hätte ne Midlife Crisis oder sowas.
Aber dann fing sie an, von diesem "Maik" zu erzählen, den sie im Internet kennen gelernt hätte. Sie zeigte mir ein Foto von ihm, auf ihrem Handy. Mein erster Gedanke war: Aha, aus dem Unterwäsche-Katalog! Ihr wisst, was ich meine... ich hab mir meinen Teil gedacht, aber nichts gesagt. Als sie mir dann "Maiks" Geschichte erzählte war für mich klar, der Typ ist ein Fake. Den gibt es nicht echt. Er sei beim Bundeskriminalamt, derzeit in Brasilien und würde für die dort stattfindende WM die dortige Polizei dabei unterstützen, spezielle Techniken und Taktiken zu erlernen, um mit Hooligans und Terroristen besser umgehen zu können - oder sowas...außerdem hätte er sehr viel geerbt und sie sei die einzige, die nicht an sein Geld wolle...bla, bla, bla. Jedenfalls war es so eindeutig, dass der Typ ein Fake war, dass ich dachte, auch meine Mutter wüsste das und würde "in ihrer Midlife Crisis" einfach nur jemanden zum flirten wollen.
In den folgenden Wochen wurden ihre Auszugspläne immer konkreter. Ich muss dazu sagen, dass mein Verhältnis zu meinem Vater damals eher neutral war. Wenn man von Kind an nur erzählt bekommt, dass der Vater kein Interesse an einem hat, dann hinterfragt man das einfach nicht. Man wird damit groß, es ist "normal". Wir haben kaum selbst miteinander gesprochen. Daher ging ich davon aus, er wüsste darüber bescheid, dass meine Mutter ausziehen würde. Immerhin hatte sie zum 1. November 2012 ja ihre eigene Wohnung angemietet...und fing dann an, nach und nach ihre Zeug dort rüber zu schaffen. Es ging ihr immer schlechter. Sie schob es auf den Umzugsstress. Auf 500 km Entfernung und über Telefon und E-Mail hab ich nicht wirklich bemerkt, wie schlecht es ihr wirklich ging. Außerdem scheint sie eine Meisterin der Verstellung zu sein, denn auch sonst niemand bemerkte etwas auffälliges.
Ende November zog sie dann in ihre eigene Wohnung...ohne meinem Vater vorab auch nur ein Wort zu sagen! Meine Großeltern haben sogar noch geholfen, die letzten Sachen rüber zu tragen. Sie dachten auch, mein Vater wüsste bescheid! Abends dann der verzweifelte Anruf meines Vaters: Sie sei weg! Die Bude leer geräumt! Morgens hat sie ihn wie immer (samt Kuss) auf die Arbeit verabschiedet, als er nach 8 Stunden zurück kam, war die Wohnung leer und sie war weg. So eine miese Tour hätte ich ihr nie zugetraut! Als meine Großeltern dann mitbekamen, was ihre Tochter wirklich gemacht hat, waren sie auch schockiert! Meine Mutter war ganze 3 Tage in ihrer eigenen Wohnung...dann kam der Zusammenbruch. Zum Glück war sie dabei nicht alleine. Es passierte in der Sparkasse, meine Tante war auch dabei, ihr Hausarzt hatte seine Praxis zum Glück gleich obendrüber. Sie kam schnell ins Krankenhaus. Da sie Diabetikerin ist, wurde zunächst auf starke Unterzuckerung getippt. Schon im Krankenwagen hat sie sich geweigert, mit ins Krankenhaus zu fahren! Sie hätte ja noch so viel zu tun...
Im Krankenhaus haben sie dann schnell einen Schlaganfall festgestellt und sie in die 60 km entfernte Uniklinik verlegt. Sie lag lange auf der Intensivstation - fast 3 Wochen. Meine Familie hat mir extra eine Zugfahrkarte bezahlt, damit ich über's Wochenende nach Hause kommen konnte. Wir dachten, sie würde sterben! Es sah wirklich sehr schlecht aus.
2 Tage vor Weihnachten wurde sie in die Reha entlassen. Weihnachten fuhren mein Freund und ich also auch wieder zu meiner Familie - und wir feierten Weihnachten quasi in der Reha-Klinik. Mit meiner von der Familie genervten, mauligen Mutter. Es war kein schönes Weihnachten!
Während des Krankenhausaufenthalts haben wir versucht, da sie ja gerade erst umgezogen war, ihre Angelegenheiten zu regeln. Was wir da alles fanden, macht mich heute noch fassungslos. Sie hatte über die letzten 20 Jahre tatsächlich einen niedrigen 5-stelligen Betrag angespart. Wie sie das mit ihrer Halbtagsstelle geschafft hat, wissen wir nicht. Wir können nur vermuten, dass sie was vom Haushaltsgeld abgezweigt hat. Allerdings hatte sie das mühsam ersparte Geld in nur 9 Monaten fast komplett ausgegeben!!!! Über ihre Kontostände konnte sie keinen Überblick gehabt haben. Denn von ihren 3 Konten hatte sie die Kontoauszüge wild durcheinander abgeheftet. Wir haben 7 Stunden gebraucht, um dort Ordnung rein zu bringen und uns einen Überblick zu verschaffen! Zu dem Zeitpunkt war sie so gut wie pleite. Das Geld floss aber nicht großteils in die neue Wohnung. Oh, nein! Es floss in dieses "Dating Portal" - von dem wir erstmalig erfuhren, als wir die Abbuchungen auf ihren Kontoauszügen sahen. Über dieses Dating Portal (joyflirter.com - ich weiß gar nicht, ob es das immer noch gibt) [leider Werbung GRANTIERT OHNE AUFTRAG] hat sie fast ihr ganzes Geld ausgegeben. Die Seite ist die reinste Kostenfalle. Abzocke! Man kann nämlich nur eine bestimmte Anzahl von Nachrichten schreiben und bei denen sind sogar die Textzeichen stark begrenzt. Um mehr schreiben zu können, braucht man "Coins" - die man mit ECHTEM Geld kaufen muss!!! Und genau dort, hat sie ihren ach so charmanten "Maik" kennengelernt.
Während meine Mutter auf der Intensivstation lag und genesen sollte, hat sie uns STÄNDIG in den Ohren gelegen, sie müsse ihr Notebook haben - klar, auf der ITS! Sie müsse doch dem Maik bescheid geben, dass sie im Krankenhaus ist, nicht das er sich noch Sorgen macht. Sie hat am Ende so lange rum genervt, dass ich ihrem "Maik" eine Mail geschickt habe. Keine Antwort. Irgendwann war ich so sauer, dass ich eine wirklich gemeine Mail an dieses Individuum schickte und einfach mal - aus purer Verzweiflung - mit Anwalt und Polizei drohte. Die Antwort die dann kam, war der Hammer! Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber es war ungefähr wie: Ich bin der beste Frauenversteher meiner Branche und es ist mein Job, die Frauen bei der Stange zu halten, damit sie ihr Geld auf dieser Seite lassen!
Jetzt hatte ich es schriftlich: "Maik" gibt es gar nicht, er wurde von Joyflirter.com quasi dazu angestellt, den Frauen das Geld aus der Tasche zu flirten. Meine Mutter ist voll drauf reingefallen und hat dort einen hohen 4-stelligen Betrag in nur 9 Monaten gelassen! Wir wissen bis heute nicht, ob sie wirklich so naiv war oder ob sie da durch die Schlaganfälle schon nicht mehr klar im Kopf war.
Da ich ja ihr Notebook benutzen musste, um diesem "Maik" eine Mail zu schicken, hatten wir Zugang zu ihren Daten und konnten anhand ihres Chatverlaufes sehen, was sie diesem Fake-Mann alles geschrieben hat. Sie hat das alles voll ernst genommen. Wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch genug Kohle gehabt hätte, wäre sie nach Brasilien geflogen, um ihn zu überraschen! Sie wäre ohne Geld, ohne Fremdsprachenkenntnisse auf einem anderen Kontinent gestrandet und keiner von uns hätte gewusst, wo sie wäre!!! Eine Horrorvorstellung! Dass ihre Trennungs- und Auszugspläne konkreter wurden als nur - wie die Jahrzehnte zuvor - leeres Gerede, haben wir auch diesem "Maik" zu verdanken. Sie wollte die eigene Wohnung, um sich mit ihm zu treffen! Auch da wissen wir bis heute nicht, ob das wirklich ein Mann war! Wenn sie nicht so lange genervt hätte, dass ich diesem "Maik" sage, dass sie im Krankenhaus liegt, hätte ich ihr Notebook ja gar nicht angerührt und das wäre alles gar nicht rausgekommen! Auch die anderen Sachen, die wir dort fanden, waren ein Schock. Sie hat diesem nicht existierenden Menschen Intimfotos gemailt!!! Wie kann man nur?! Keiner weiß, was damit passiert ist. Mit den Bildern könnte dieser Mensch ja weiß der Himmel was angestellt haben. Das Internet vergisst nicht...
Um sich diese Coins auch am Wochenende kaufen zu können, hatte sie extra Onlinebanking eingerichtet - das muss man sich mal vorstellen! Vorher wollte sie davon nie was wissen!
Auch die deutsche Gesetzgebung hat uns viele Probleme bereitet! Denn die ärztliche Schweigepflicht gilt auch gegenüber den engsten Familienangehörigen. Ihre Eltern, ihr Ehemann, ihre Kinder...keinem von uns wurde je gesagt, was tatsächlich mit ihr los war, was als nächstes passieren wird oder sonst irgendeine Information. Und da meine Mutter uns die Schuld an allem gab, hat sie uns auch nichts erzählt. Wenn sie mal was erzählte, war es eigentlich nur verwirrend. Sie hat selbst nicht verstanden, was die Ärzte ihr erklärten. Das war wirklich schrecklich. Wir wollten helfen, wussten aber nicht wie. Wenn man sich solche großen Sorgen um einen Angehörigen macht und quasi zum Nichtstun verdammt wird...das ist nur schwer auszuhalten! Wir haben immer nur durch Zufall neue Informationen mitbekommen. Wenn z. B. grad Visite war und sie uns nicht extra rausgeworfen haben. Oder als die damalige Freundin meines Bruders (sie ist Sanitäterin) einen Blick auf das Krankenblatt erhaschen konnte. Bis heute wissen wir nicht genau, was zu den Schlaganfällen geführt hat - wir vermuten, dass sie ihre Diabetes nicht mehr richtig im Griff hatte (sie war wohl zu Abgelenkt), denn auf dem Gebiet weiß sie alles besser! In der Reha hat sie nach ihrem Pen und ihrem Insulin verlangt. Wir sollten ihr das von Zuhause mitbringen. Die Ärzte hätten alle keine Ahnung und würden sie "kaputt spritzen".
Während meine Mutter im Krankenhaus und in der Reha war, haben wir als Familie versucht, ihre Angelegenheiten zu regeln, ihre offenen Rechnungen von über 1.000 EUR zu bezahlen, ihre Wohnung zu kündigen (im 4. OG mit steiler Treppe wo sie sich doch kaum am Geländer festhalten konnte!) und so weiter. Als sie aus der Reha entlassen wurde, wohnte sie nochmal ein paar Wochen bei meinem Vater, zog aber letzten Endes doch wieder aus. Die Trennung lief über ihre Anwälte. Danach hat sie fast 2 Jahre lang kein Wort mehr mit meinem Vater gesprochen. Und auch zu uns - meinem Bruder und mir - hatte sie kaum Kontakt.
Sie lebte irgendwie in ihrer eigenen Welt, in einer rosaroten Seifenblase, die dann aber geplatzt ist. Obwohl...manchmal lebt sie auch heute noch in ihrer Seifenblase. Aber sie ist nicht mehr rosarot.
Meine Mutter ist rechtsseitig leicht "gelähmt" -nennt man das dann auch so? Sie kann zwar gehen und den Arm bewegen, hat aber kein Gefühl mehr in den rechten Extremitäten. Auch mit der Persönlichkeitsveränderung, die der Schlaganfall hinterlassen hat, können wir nur schwer zurechtkommen. Sie wurde quasi von einem Tag auf den anderen ein fremder Mensch. Sie neu kennenzulernen ist verdammt schwierig. Sie meldet sich kaum, ist selbst nur schwer erreichbar. Sie interessiert sich nicht wirklich für das, was wir machen. Aber wenn wir uns nicht ab und an mal bei ihr melden, meckert sie rum, wir würden sie links liegen lassen. Ihr ganzes Wesen ist ein anderes und auch mit dieser "braunen" Seite, die sie in den letzten Monaten entwickelte, komme ich nur schwer zurecht. Sie gibt meinem Vater und ihren Eltern die Schuld an ALLEM was passiert ist - ohne zu erklären, wie und woran oder wodurch sich die drei "schuldig" gemacht hätten. Mein Vater sucht bis heute nach einem Grund, was er alles falsch gemacht haben muss, damit sie in einer Nacht und Nebel Aktion einfach abhaut. Wenn er sie fragt kommt nur: "Das musst du selbst wissen!" Sie hat bei ihren "Internet-Freunden" extrem schlecht über ihre Eltern und meinen Vater gesprochen, sie regelrecht verleumdet.
Ein klärendes Gespräch oder eine Entschuldigung für das, was sie alles getan und gesagt hat, blieb bis heute aus. Wenn man sie auf diese Zeit anspricht, kann sie sich angeblich an nichts mehr erinnern. Wenn man aber Details erwähnt, die gewesen sind, dann weiß sie komischerweise ganz genau, dass das so nicht war. Ein paar Screenshots von ihren Chatverläufen, ein paar Mails, die hin und her gegangen sind, habe ich gespeichert. Wer weiß, wozu man sie nochmal braucht.
Ich habe jetzt eine "neue Mutter". Eine andere. Eine, mit der ich auch nach fast 4 Jahren immer noch nicht richtig reden kann. Nicht so wie früher, wo wir über alles geredet haben - stundenlang! Heute beschränken sich die Gespräche auf ca. 20 Minuten und werden allgemein gehalten. Oder sie drehen sich um ihren neuen Lebensmittelpunkt: den Hund! Ein WIRKLICHES Gespräch ist unmöglich. Man darf auch nicht zu viel fragen wie es ihr geht und was sie so macht. Dann fühlt sie sich gleich ausgehorcht und wird einsilbig und blockt ab. Es ist schwierig. Und nach dieser ganzen Zeit, sehe ich auch nicht, dass sich das alles nochmal ändern wird. Mit meiner "neuen Mutter" muss ich irgendwie zurecht kommen - auch wenn es schwer fällt.
Seit sie den Hund hat, hat sie allerdings wieder regelmäßig Kontakt zu meinem Vater. Er ist offenbar der einzige, der den Hund so akzeptiert wie er ist (ungehorsam und ungestüm). Für meinen Vater ist die Situation sehr merkwürdig. Denn obwohl er ja "an allem Schuld ist", geht er regelmäßig mit ihr spazieren, mit dem Hund gassi wenn sie nicht kann oder fährt die beiden zum 20 km entfernten Hundefriseur - meine Mutter kann auf Grund der Beeinträchtigungen den Hund nicht selbst scheren.
Außerdem ist meine Mutter total impulsiv geworden! Am Freitag nachmittag verkündete sie - so ganz nebenbei - dass sie morgen in den Urlaub an die Ostsee fährt. Mit Hund. In der Bahn. Nur Nahverkehr. Ich hab mal gegoogelt. Nur im Nahverkehr wird sie fast 9 Stunden unterwegs sein und je nach Verbindung muss sie bis zu 8mal Umsteigen! Die Frau ist verrückt! Wer tut sich denn sowas freiwillig an?! Wir sind alle gespannt, ob sie morgen Abend überhaupt an der Ostsee ankommt oder nicht doch auf dieser Odyssee verloren geht.